Theorie Trauer

Ästhetik als Schlüssel zur Trauerbewältigung

Der Begriff „Ästhetik“ bezeichnet die Wahrnehmung des Erhabenen und Harmonischen in Kunst und Natur. Sobald wir die Zeichnung oder das Gemälde eines Verstorbenen aufmerksam betrachten, geraten wir relativ unwillkürlich in einen Modus der ästhetischen Wahrnehmung: Das heißt, wir aktivieren unser sinnliches Empfinden dafür, worin das Besondere an der Darstellung dieser Person liegt. Ein Kunstwerk anstelle eines gewöhnlichen Fotos steigert so automatisch den Fokus auf den Verstorbenen. Wenn Dritte das Bild als etwas Außergewöhnliches wertschätzen, wirkt diese Anerkennung zusätzlich tröstend für trauernde Angehörige.

Zwischen dem Zustand der ästhetischen Wahrnehmung und dem Zustand der Trauer nach einem Todesfall existiert eine wichtige Parallele: In beiden Situationen kreist das Bewusstsein um einen bestimmten Gegenstand, hier konkret um eine bestimmte Person. Dieses umkreisende Bewusstsein setzt aber keine unmittelbare Reaktion oder Handlung in Gang wie das in alltäglichen Wahrnehmungszusammenhängen der Fall wäre. Obwohl die Aufmerksamkeit intensiv auf diese eine Person gerichtet ist, ist es nicht mehr möglich, mit dem Verstorbenen zu interagieren. Genauso verhält es sich mit dem künstlich geschaffenen Abbild. Sowohl im ästhetischen wie im trauernden Bewusstsein existiert die Person nur gedanklich.

Die negativen Gefühle aus dem Prozess des Trauerns entstehen also aus ähnlichen Ursachen wie die angenehmen Emotionen, die mit dem Betrachten von Kunst assoziiert sind. In einem Portrait des Verstorbenen wird der Gegenstand der ästhetischen Wahrnehmung mit dem Gegenstand der Trauer deckungsgleich. Dadurch werden die Emotionen diesem Gegenstand gegenüber ambivalent! Das bedeutet, dass sich die traurigen Gefühle mit positiven, erhabenen Gefühlen mischen und die Trauer so etwas austarieren. Unter diesem Blickwinkel erhält die künstlerisch Gestaltung von Sterbeandenken einen praktischen Nutzen für die Trauerarbeit.

Kunst statt Kranzspenden

Oft wünschen sich Angehörige keine Kranzspenden – manchmal einfach deshalb, weil in der Urnennische zu wenig Platz für eine Reihe von Kränzen ist. Manchen ist dieses Aufgebot aber auch zu pompös. In diesem Fall stellt ein handgefertigtes Portrait des Verstorbenen eine hübsche Alternative dar.

Ebenso wie ein floraler letzter Gruß, dient ein repräsentatives Portrait der Würdigung des Verstorbenen. Es kann während der Beisetzungszeremonie dekorativ platziert und im Anschluss von den Angehörigen mit nach Hause genommen werden. Auch die Kombination aus gerahmtem Bild und einem ausgewählten kleinen Blumenschmuck sieht wunderschön aus.

Auftraggeber für das Portrait können natürlich nicht nur die Angehörigen selbst sein. Einzelne Trauergäste, die Gemeinschaft aller Trauergäste, die Arbeitskollegen, Schulfreunde oder andere Personengruppen können ein Portrait des Verstorbenen anfertigen lassen, um es am Ort des gemeinsamen Wirkens aufzuhängen oder um es der Trauerfamilie als Beileidsbezeugung zu überreichen.

Tischdekoration beim Totenmahl

Nach dem zeremoniellen Teil der Trauerfeier stärken sich Freunde und Verwandte beim Totenmahl. Die Menschen, die einander hier begegnen, haben sich oft jahrelang nicht gesehen oder kennen einander nicht und treffen in einer Ausnahmesituation aufeinander. Nicht selten ist die Konversation aufgrund von mangelndem Gesprächsstoff, großen Generationenunterschieden oder hervorbrechenden Gefühlen unangenehm. In diesen Situationen ist die gemeinsame Erinnerung an den Verstorbenen ein verbindendes, oft auch tröstendes Thema.

Einheitlich gestaltete Tischkärtchen, Platzmatten, festliche Kerzen oder Windlichter dekoriert mit Portraits des Verstorbenen machen Erinnerungen präsent und suggerieren die Anwesenheit des Verstorbenen bei Tisch. Diese besondere Tischdekoration kann am Ende als Andenken verschenkt und mit nach Hause genommen werden. So können sich Angehörige bei den Trauergästen für die erwiesene Anteilnahme bedanken — mit einem Erinnerungsstück, das wahrscheinlich länger Freude bereitet als herkömmliche Dankschreiben.

Kunst im Angesicht des Todes

Für viele Menschen ist der eigene Tod ein großes Tabuthema. Dennoch wird man in bestimmten Situationen harsch mit der eigenen Vergänglichkeit konfrontiert – zB beim Tod eines geliebten Wesens oder der Diagnose einer unheilbaren Krankheit. Die Unabänderlichkeit solcher Lebenslagen bewirkt heftige Emotionen wie Angst und Verunsicherung.

Der künstlerische Zugang beinhaltet geeignete Methoden, um Gefühle in Bezug auf den Tod zu befragen und in einen sinnstiftenden Zusammenhang zu bringen. Er fördert zB, dass wir unsere Selbst- und Fremdwahrnehmung erforschen, stimuliert die assoziativen Fähigkeiten, erfordert zielgerichtetes Entscheiden und Handeln und dient schließlich dazu, Gefühlen Ausdruck zu verleihen, wobei negative Gefühlsqualitäten im Kunstkontext nicht zensiert werden müssen wie in vielen anderen gesellschaftlichen Zusammenhängen.

Die Planung und Erstellung eines Gedenkportraits oder einer Portrait-Collage bietet Menschen, die sich auf den Tod vorbereiten müssen, somit eine Möglichkeit jenes Bild mitzugestalten, das von ihnen in Erinnerung bleiben soll. Sie können den Ort planen, an dem ihr Andenken platziert wird, und gemeinsam mit den Angehörigen den emotionalen Stellenwert der Erinnerungsstücke definieren. Dieser Prozess lässt Sterbende Anerkennung durch ihr Umfeld erfahren und hilft ihnen, mit der eigenen Persönlichkeit und Biografie wertschätzend umzugehen. In vorbereitenden Gesprächen lassen sich offene Themen zu einem Abschluss bringen, was auch für Angehörige eine erleichternde Erfahrung ist. Jedenfalls eröffnet der künstlerische Zugang einen Handlungsspielraum, der dem endgültigen Aus etwas Bleibendes entgegenhält.